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von Rechtsanwalt Thomas Wehrli


Rabiate Fahrradfahrer in Zürich


Dürfen Fahrradfahrer alles und werden dabei auch noch durch das “Recht des Schwächeren” geschützt? Nein, bestätigte das Bundesgericht (BGer 4A_91/2022 vom 31. Mai 2022).

Im Jahr 2005 fuhr der ortskundige Fahrradfahrer verbotenerweise auf dem Trottoir einer Einbahnstrasse und wollte eine andere Strasse überqueren. Als er von links ein sich näherndes Tram wahrnahm, bremste er stark ab, um einen Zusammenstoss mit dem Tram zu vermeiden, verlor das Gleichgewicht und stürzte vor das Tram. Anschliessend wurde er einige Meter mitgeschleift. Die Unfallversicherung des Fahrradfahrers erhob gegenüber dem Trambetrieb eine Regressforderung. Der Trambetretrieb lehnte diese wegen groben Selbstverschulden des Fahrradfahrers ab.

Im Jahr 2018 verklagte die Versicherung daraufhin die Trambetriebe auf CHF 1’861’237. Nach dem bis ins Jahr 2010 geltende Eisenbahnhaftpflichtgesetzt (neu: Eisenbahngesetzt) musste nicht der Fahrradfahrer die Schuld des Trambetriebs, sondern der Trambetrieb seine Unschuld beweisen. Während das Bezirksgericht Zürich die Haftungsquote der Trambetriebe noch auf 60% festsetzte, hiess das Obergericht die Berufung der Trambetriebe gut und wies die Klage wegen groben Selbstverschuldens des Fahrradfahrers ab. Dagegen gelangte die Unfallversicherung ans Bundesgericht.

Strittig war, inwiefern die Haftpflicht der Trambetriebe durch grobes Selbstverschulden unterbrochen wurde. Das Bundesgericht führte aus, dass, ein grobes Selbstverschulden dann vorliege, wenn der Geschädigte elementare Sorgfaltsregeln ausser Acht lasse, wobei das Verschulden umso schwerer wiege, je grösser das Ausmass der Abweichung vom Durchschnittsverhalten sei. Die erforderliche Sorgfalt werde auch – insbesondere im Fahrradverkehr – durch Nachlässigkeit und Unsitten, die im Verkehr eingerissen sind, nicht herabgesetzt.

Weil der Fahrradfahrer nicht nach entgegenkommenden Tramzügen Ausschau hielt und nicht so fuhr, dass er jederzeit vor dem Tramgleis hätte anhalten können, ging das Bundesgericht von einer grobfahrlässigen Fahrweise des Fahrradfahrers aus. Dies wurde noch dadurch verstärkt, dass der Fahrradfahrer verbotenerweise auf dem Trottoir und in entgegengesetzter Richtung auf einer Einbahnstrasse gefahren sei, womit auch in der Stadt im Strassenverkehr nicht zu rechnen gewesen sei. Als Ortskundiger habe der Fahrradfahrer zudem gewusst, dass an dieser Kreuzung Tramverkehr bestehe. Das Bundesgericht hält fest, dass die Fahrweise des ortskundigen Fahrradfahrers derart grob unsorgfältig und so krass vom vernünftigen Durchschnittsverhalten in der gebotenen Situation abweichend gewesen sei, dass sie die alleinige Ursache des Unfalls darstelle. Die Beschwerde der Unfallversicherung wurde deshalb abgewiesen.

Ortskundige Fahrradfahrer müssen in Zukunft aufpassen!