AKTUELLES

von MLaw Yvonne van der Stroom, LL.M.


Einvernahme ehemaliger Organe als Zeugen in Kartellsanktionsverfahren


Gemäss neustem Entscheid des Bundesgerichts vom 8. März 2021 (Urteil 2C_383/2020) können ehemalige Organe von Unternehmen, gegen welche kartellrechtlich ermittelt wird, von der Weko uneingeschränkt als Zeugen einvernommen werden. Auf sie findet das aus dem Grundsatz des nemo tenetur (Verbot des Selbstbelastungszwangs) ergebende Schweigerecht keine Anwendung.

Das Bundegericht unterscheidet jedoch ob es sich beim ehemaligen Organ um einen “von der Untersuchung Betroffenen” oder einen “Dritten” handle. “Dritte” seien als Zeugen grundsätzlich zur wahrheitsgemässen Aussage verpflichtet, “von der Untersuchung Betroffene” könnten im Rahmen des einfachen Parteiverhörs jedoch die Aussage verweigern. Das Bundesgericht spezifizierte dann dass es sich beim Begriff “von der Untersuchung Betroffene” lediglich um Verfahrensparteien handle. Als Verfahrensparteien seien nur die aktuellen formellen und faktischen Organe zu qualifizieren, da juristische Personen durch diese Organe auftreten und handeln würden. Dies ist bei ehemaligen Organen von Unternehmen nicht mehr der Fall, weshalb sie als Dritte und nicht als Verfahrensparteien zu befragen sind.

Eine Person, die ihre Organstellung in einem Unternehmen verloren hat, verfügt betreffend die allfällige Sanktionierung des Unternehmens nicht mehr über ein unmittelbares Interesse am Verfahrensausgang. Dies sei gemäss Bundesgericht auch dann der Fall, wenn das ehemalige Organ Aussagen zu Begebenheiten machen müsse, die sich im Zeitraum seiner Organstellung zugetragen hätten und aus denen ihm im Verhältnis zu seiner ehemaligen Arbeitgeberin gegebenenfalls zivilrechtliche Nachteile entstehen könnten. Auch der Umstand eines Näheverhältnisses zum untersuchungsbetroffenen Unternehmen ändert nichts daran; so stehe beim Schweigerecht des nemo-tenetur-Grundsatzes nicht der Schutz vor belastenden Aussagen von Personen mit einem Näheverhältnis im Vordergrund, sondern lediglich die Sicherstellung der Möglichkeit einer wirksamen Verteidigung für das untersuchungsbetroffene Unternehmen selbst.

Entgegen dem Bundesverwaltungsgericht stehe demzufolge gemäss Bundesgericht dem ehemaligen Organ kein vom Unternehmen abgeleitetes Aussageverweigerungsrecht im Rahmen einer Zeugeneinvernahme zu.