KURIOSES

von Rechtsanwalt Thomas Wehrli


Der Mieter hat (nicht) immer Recht


Im Bundesgerichtsurteil BGer 4A_83/2022 vom 22. August 2022 hielt das Bundesgericht fest, dass der Mieter eben doch nicht immer recht hat.

Der Mieter bezog am 1. Dezember 2007 eine Wohnung in Murten zu einem Nettomietzins von CHF 1’154. Trotz Formularpflicht – in den Kantonen Basel-Stadt, Genf, Luzern, Neuenburg, Waadt, Zug und Zürich muss der Anfangsmietzins bei Wohnungsknappheit auf einem gesonderten Formular mitgeteilt werden – wurde dem Mieter das amtliche Formular nicht ausgehändigt. Die Nichtverwendung des Formulars oder die darin versäumte Begründung einer Mietzinserhöhung haben die Nichtigkeit des vereinbarten Mietzinses zur Folge. Dem Mieter steht die Klage auf gerichtliche Festsetzung des Anfangsmietzinses sowie auf Rückerstattung des zu viel bezahlten Betrags zur Verfügung. Rechtsmissbrauch bleibt vorbehalten, ist aber restriktiv anzunehmen.

Nachdem im vorliegenden Fall Jahre nach Mietbeginn Verhandlungen über eine Mietzinsreduktion nicht zur Zufriedenheit des Mieters verlaufen waren, berief sich der Mieter auf die Formungültigkeit des mitgeilten Anfangsmietzinses und verlangte vom Gericht die Feststellung eines Anfangsmietzinses von CHF 772 sowie die Rückzahlung von rund CHF 45’000. Die Gerichte erwogen, dass der Mieter ausgebildeter Jurist und Rechtsanwalt mit mehrjähriger Erfahrung im Mietrecht war. Er habe die Rechtslage zumindest in groben Zügen gekannt. Während 13 Jahren erfüllte er den Mietvertrag freiwillig und irrtumsfrei. Unter diesen Umständen hat das Gericht die Berufung auf den Formmangel als missbräuchlich erachtet, womit der Anfangsmietzins unverändert bei CHF 1’154 belassen wurde und keine Rückerstattung geschuldet war. Der Mieter hat eben doch nicht immer Recht, obwohl doch sehr hohe Hürden zu überwinden sind!