RECHTLICHES

von Rechtsanwalt Filip Tomic


"Zigeuner" – eine eigene Ethnie?


Die Junge SVP des Kantons Bern veröffentlichte am 21. Februar 2018 auf ihrer Homepage einen Beitrag mit dem Titel “JSVP-Kandidaten wählen – Transitplätze für Zigeuner verhindern!”. Der Schriftzug wurde durch eine farbige Abbildung eines Transitplatzes untermalt, auf dem sich stinkender Abfall türmte und auf dem eine leicht dunkelhäutige Person ihre Notdurft im Freien verrichtete. Ausserdem wurde klargestellt, dass ausländische Zigeuner das Ziel der Kampagne waren.

Nachdem die Verantwortlichen wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurden, musste sich das Bundesgericht mit Urteil vom 10. März 2022 abschliessend mit der Frage befassen, ob hinter dem Begriff “Zigeuner” überhaupt eine einheitliche Ethnie steckt, was zur Erfüllung des entsprechenden Tatbestandes erforderlich wäre (BGE 148 IV 113).

Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs Ethnie, jedoch kann festgehalten werden, dass eine Gruppe von Menschen eine Ethnie darstellt, sofern sie aufgrund gemeinsamer Merkmale durch andere Personen als abgegrenzte Gruppe wahrgenommen werden kann und sich auch selber als solche wahrnimmt. Die Gemeinsamkeiten beruhen dabei häufig auf einer gemeinsamen Geschichte oder einem übereinstimmenden Wertesystem.

Das Bundesgericht bejahte dies für die Bezeichnung “Zigeuner” im Wesentlichen mit der Begründung, da der Durchschnittsbürger die einzelnen Unterschiede zwischen den erfassten Ethnien wie Roma und Sinti nicht kenne. Da der Begriff “ausländische Zigeuner” ein Sammelbegriff für die einzelnen Ethnien sei, müsse auch der Sammelbegriff eine Ethnie darstellen.

Auch wenn das bundesgerichtliche Urteil unter moralischen und humanitären Aspekten zu begrüssen ist, erscheint es rein rechtlich betrachtet etwas problematisch, da der vom Bundesgericht gezogene Vergleich zur bereits in einem früheren Urteil abgehandelten Ethnie der Kosovaren hinkt. Während die Kosovaren sich wohl zumindest mehrheitlich als eigene soziale Gruppe und somit als Ethnie verstehen, dürfte dies bei den verschiedenen einzelnen Ethnien, welche in den Augen eines Durchschnittsbürgers unter die veraltete Bezeichnung “Zigeuner” fallen, gerade umgekehrt sein. Mit der Einschränkung des Zielobjekts auf ausländische Zigeuner haben sich die Kampagnenleiter jedoch für die Gesamtbetrachtung der Erfüllung des Tatbestandes sicherlich keinen Gefallen getan.