KURIOSES

von Rechtsanwalt Filip Tomic


Drei Mal vor Bundesgericht wegen 80 Franken und immer noch kein endgültiges Urteil


Die bernischen Strafbehörden sowie das Bundesgericht beschäftigen sich schon seit mehreren Jahren mit einem mutmasslichen Tierquäler, welcher aufgrund Unterlassens der fachgerechten Klauenpflege bei einem Schaf am 11. Juli 2018 durch das Regionalgericht Berner Jura-Seeland mit einer bedingten Geldstrafe (4 Tagessätze à 80 Fr.) sowie einer Verbindungsbusse von 80 Franken belegt wurde. Der Beschuldigte hätte sich damit begnügen können, die Verbindungsbusse zu begleichen. Ausserdem hätte er die im Zusammenhang mit der Geldstrafe ausgesprochene Probezeit überstehen müssen. Dies liess er sich jedoch – wie der bisherige Verlauf des Verfahrens zeigt – zumindest hinsichtlich des Schuldspruches zu Recht nicht gefallen.

Nachdem das Obergericht das erstinstanzliche Urteil am 12. April 2019 den Schuldspruch bestätigte, rügte der Beschuldigte vor Bundesgericht (Urteil 6B_638/2019 vom 17. Oktober 2019), dass der dem Schuldspruch zugrunde gelegte Sachverhalt nicht genügend gut umschrieben war, um sich dagegen in angemessener Weise wehren zu können. Das Bundesgericht hält dazu fest, dass entscheidend sei, dass der Betroffene genau wisse, welcher konkreter Handlungen er beschuldigt und welchen Straftatbestand er durch sein Verhalten erfüllt haben solle. Diesem Zweck dient die Anklageschrift. Der Schuldspruch dürfe nicht gestützt auf einen Sachverhalt ergehen, der mit dem angeklagten Sachverhalt nicht übereinstimmt. Dementsprechend hob das Bundesgericht das obergerichtliche Urteil auf. Erstaunlicherweise stellte schon das Obergericht die fehlende Übereinstimmung fest, hielt es jedoch dennoch nicht für nötig, das Verfahren an das erstinstanzliche Regionalgericht zurückzuweisen.

Das nunmehr wieder zuständige Obergericht eröffnete daraufhin der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern die Möglichkeit, den Sachverhalt in der Anklage zu berichtigen. Diesen Zwischenentscheid focht der Beschuldigte wiederum an, drang jedoch nicht durch (Urteil BGer 1B_109/2020 vom 9. März 2020). Während er für das erste bundesgerichtliche Verfahren für seinen Rechtsvertreter eine Parteientschädigung von 3’000 Fr. erhielt, musste er beim zweiten Mal die Gerichtskosten des Bundesgerichts in Höhe von 1’000 Fr. (sowie die Kosten seines Rechtsvertreters) übernehmen.

Nachdem das Obergericht die berichtigte Anklage erhielt, hielt sie den darin umschriebenen Sachverhalt wohl für ausreichend detailliert umschrieben und bestätigte am 25. September 2020 wiederum das Urteil des Regionalgerichts Berner Jura Seeland vom 11. Juli 2018 – auch dieses Mal blieb es nicht dabei. Da das Obergericht an die Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil vom 17. Oktober 2019 gebunden war und mit der Berichtigung der Anklage davon abwich, musste das Bundesgericht den Schuldspruch erneut aufheben, an das Obergericht zur neuen Entscheidung zurückweisen und dem Beschuldigten für seinen Rechtsvertreter eine Parteientschädigung von 3’000 Fr. zusprechen (Urteil 6B_1216/2020 vom 11. April 2022).

Es bleibt abzuwarten, wie das Obergericht bei seinem erneuten Anlauf entscheiden wird. Eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils wird wohl nicht mehr in Frage kommen. Klar ist, dass ein krasses Missverhältnis zwischen der vom Beschuldigten zu leistenden Busse von 80 Fr. sowie den Verfahrenskosten sämtlicher kantonaler Behörden bzw. Gerichte sowie des Bundesgerichts besteht, welche sich nach einer zurückhaltenden Schätzung sicherlich bereits auf über 20’000 Franken belaufen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Verfahrenskosten kaum die tatsächlichen Aufwendungen der Behörden decken, fällt das Missverhältnis noch krasser aus. Selbst der Beschuldigte wird sich fragen müssen, ob die Kosten, welche er durch das Verfahren bereits auf jeden Fall zu tragen haben wird, namentlich die Kosten des zweiten bundesgerichtlichen Verfahrens, in einem angemessenen Verhältnis zur auferlegten Busse stehen.