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vom Rechtsanwalt Filip Tomic


Änderung der Rechtsprechung bei der Anpassung des Kindesunterhalts – ein Schritt in die richtige Richtung?


Das Bundesgericht entschied mit Urteil vom 12. Januar 2022 (Urteil BGer 5A_75/2020), dass neu nur das Kind und nicht auch ein den Kindesunterhalt bevorschussendes Gemeinwesen eingeklagt werden müsse, wenn der Unterhaltspflichtige die Kindesunterhaltsbeiträge anpassen wolle. Mit anderen Worten steht die Passivlegitimation in einem Abänderungsprozess nur dem Kind zu.

Gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB, wonach der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen übergeht, falls dieses für den Unterhalt aufkommt, ging das Bundesgericht kürzlich noch davon aus, dass mit der Bevorschussung des Unterhalts durch das Gemeinwesen auch die Prozesslegitimation auf dieses übergehe. Erklärt wurde dies damit, dass Art. 289 Abs. 2 ZGB nicht nur die einzelnen Unterhaltsbeiträge, sondern den ganzen Anspruch bzw. das sog. Stammesrecht auf das bevorschussende Gemeinwesen übertragen wolle (vgl. BGE 137 III 193).

Diese Konstruktion war aus (ehemaliger) bundesgerichtlicher Sicht notwendig, um rechtsdogmatisch begründen zu können, weshalb dem bevorschussenden Gemeinwesen gegen den Unterhaltsschuldner die sog. Schuldneranweisung zur Verfügung stehen sollte. Dabei handelt es sich um eine Anweisung an den Schuldner des Unterhaltspflichtigen, meistens dessen Arbeitgeber, die dem Unterhaltspflichtigen zustehenden Zahlungen direkt an das unterhaltsberechtigte Kind auszuzahlen. Da die Schuldneranweisung auf die Zukunft ausgerichtet ist, die Rechte jedoch grundsätzlich gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB nur für die bereits geleisteten Zahlungen an das Kind auf das bevorschussende Gemeinwesen übergehen, hielt es das Bundesgericht für notwendig, das ganze Stammesrecht auf das Gemeinwesen übergehen zu lassen, um das in der bundesrätlichen Botschaft vorgesehene Recht des Gemeinwesens, eine Schuldneranweisung zu beantragen, rechtsdogmatisch erklären zu können.

Diese Auslegung führte in der Praxis zu diversen Problemen. So musste sich die Abänderungsklage bei nur teilweiser Bevorschussung des Unterhaltsanspruchs durch das Gemeinwesen gegen das Kind und das Gemeinwesen gemeinsam richten. Dieser Fall kommt sehr häufig vor, da die durch das Gemeinwesen pro Kind maximal bevorschussten Unterhaltsbeiträge auf den Betrag einer vollen IV-Kinderrente gedeckelt sind. Der dem Kind gestützt auf ein Gerichtsurteil oder auf eine durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde genehmigte Vereinbarung zustehende Unterhaltsbeitrag ist aber nicht selten deutlich höher.

Das Bundesgericht verschärfte in einem weiteren Urteil (vgl. BGE 143 III 177) die Problematik weiter, indem es festhielt, dass eine Abänderung durch den Unterhaltspflichtigen auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit seiner Klage nur möglich sei, falls keine Bevorschussung stattgefunden habe. Dies führt zur Konsequenz, dass der Unterhaltspflichtige u.U. während des ganzen Abänderungsverfahrens die (zu hohen) Unterhaltsbeiträge zahlen muss, um einer Bevorschussung seitens des Gemeinwesens zuvorzukommen, und unter seinem Existenzminimum leben muss, wenn er eine Abänderung bzw. Reduktion der Unterhaltsbeiträge auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit seiner Klage erreichen will.