AKTUELLES

von Rechtsanwalt Thomas Wehrli


Der strenge Arm des (Strassenverkehrs-)Gesetzes


Die Medien sind die vierte Gewalt – was waren nochmal die anderen drei? – so lautet ein verbreiteter Scherz unter Medienschaffenden, der – wenn er nicht sogar zumindest ein bisschen ernst gemeint ist – vom Selbstvertrauen und -verständnis dieses Berufsstands zeugt. Ein kürzlich ergangenes Urteil des Bundesgerichts (BGer) stellt jetzt aber klar, dass die Rolle der Medien als vierte Gewalt, verstanden als (zusätzliche) Kontrollfunktion über die drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative, zwar nicht in Frage zu stellen, deren Tätigkeit aber auch nicht schrankenlos ist (BGer 1C_33/2020 vom 26. Mai 2021).

Anlass bildet der tragische “Fall Ylenia” aus dem Jahr 2007: In Appenzell war ein fünfjähriges Mädchen entführt und eineinhalb Monate später in Oberbüren/SG ermordet aufgefunden worden; der mutmassliche Täter hatte noch am Tag der Entführung Suizid begangen. Rund zwölf Jahre später, im März 2019, hielt die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eine Medienkonferenz ab, nachdem in Presseberichten Aussagen angeblicher Zeugen erschienen waren, wonach an der Tat weitere Personen beteiligt gewesen sein sollen. Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) ersuchte in diesem Zusammenhang um Einsicht in die Strafakten zum Fall Ylenia. Ihr Ziel war es herauszufinden, ob die Strafverfolgungsbehörden seinerzeit den Hinweisen der angeblichen Zeugen genügend nachgegangen waren, und damit letztlich eine Kontrolle der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden durch die SRG.

Die sanktgallischen Behörden verweigerten der SRG jedoch die Akteneinsicht, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Angehörigen von Ylenia sich dagegen ausgesprochen hatten. Hiergegen gelangte die SRG an das Bundesgericht (BGer). Das BGer führt in seinem Urteil aus, dass der Anspruch auf Einsicht in Verfahrensakten zwar ausnahmsweise auch Drittpersonen wie z.B. den Medien offenstehe. Hierzu müsse seitens der Medien aber ein schutzwürdiges Interesse vorliegen, das die entgegenstehenden privaten und öffentlichen Interessen überwiege. Das BGer kam zum Schluss, dass die Interessen der Angehörigen von Ylenia – namentlich das Recht, die sie belastende Angelegenheit medial ruhen lassen zu können, und ihr Recht auf sog. informationelle Selbstbestimmung – die Interessen der SRG an einer Akteneinsicht und Berichterstattung darüber überwiegen. Das Gericht stellte zudem in Frage, ob seitens der SRG überhaupt ein schutzwürdiges Interesse bestehe, da diese sich lediglich «auf die Thesen eines Krimi-Autors und eine kurzfristig lancierte Kampagne eines Boulevard-Mediums, das sich die Thesen des Krimi-Autors zu eigen gemacht hat», berufe (Medienmitteilung des BGer vom 26. Mai 2021). Das BGer wies die Beschwerde der SRG somit ab.

Der Entscheid stärkt das in der heutigen Zeit immer wichtiger werdende “Recht auf Vergessen”. Gleichzeitig stellt er klar, dass die Untersuchung von Straftaten und namentlich die Würdigung von Beweismitteln wie bspw. Zeugenaussagen Sache der Strafverfolgungsbehörden ist. Eine zusätzliche Kontrolle der Tätigkeit der Behörden durch die Medien ist zwar erwünscht und in einem gewissen Grad auch unabdingbar; eine Schranke besteht aber spätestens dort, wo diese Tätigkeit mit den berechtigten Interessen der Angehörigen eines Opfers kollidieren.

Sollten Sie einmal mit einem ähnlichen Problem konfrontiert sein – eine Behörde verweigert Ihnen eine Auskunft oder Einsicht in Dokumente, oder Medien versuchen, sich in Ihre vertraulichen Privatangelegenheiten einzumischen – stehen Ihnen unsere Medien- und Strafrechtsspezialistinnen und -spezialisten gerne zur Verfügung.