RECHTLICHES

von Rechtsanwältin Flavia Dudler


Unterhalt nach der Scheidung – ein weiterer Leitentscheid


Bereits in der Ausgabe Juli/August 2018 haben wir über das neue Unterhaltsrecht, das am 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist, berichtet. Nachdem sich das Bundesgericht im Mai 2018 erstmals über die Art und Weise der Berechnung des Betreuungsunterhalts als Teil des Kindesunterhalts geäussert hat, hat es Ende September 2018 eine weitere Hürde im Zusammenhang mit der Unterhaltsberechnung genommen.

Mit Inkrafttreten des neuen Kinderunterhaltsrechtes wurde die sogenannte 10/16-Regel, die vom Bundesgericht für die altrechtliche Scheidungsrente eingeführt wurde, zunehmend in Zweifel gezogen. Danach wurde es für zumutbar erachtet, dass der betreuende Elternteil spätestens ab dem 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes wieder zu 50% und ab dem 16. Lebensjahr des jüngsten Kindes wieder zu 100% arbeitet. Mit Einführung des Kinderbetreuungsunterhalts wurden diverse Stimmen laut, wonach der betreuende Elternteil seine Erwerbsfähigkeit bereits viel früher wieder aufnehmen bzw. ausdehnen soll. Dies mit der Begründung, die Kinder würden bereits mit Schuleintritt zu einem Grossteil in der Schule betreut, wodurch es dem betreuenden Elternteil ermöglicht werde, während der schulbedingten Abwesenheiten der Kinder einer Arbeit nachzugehen. Mit dem Eintritt in die Oberstufe würden die Kinder noch selbständiger, was eine weitere Ausdehnung der Erwerbsfähigkeit erlaube.

Bereits die Botschaft zur Änderung des Kinderunterhaltsrechts hat sich dahingehend geäussert, dass aufgrund der Einführung des neuen Unterhaltsrechts die 10/16-Regel allenfalls zu überdenken sei. Aufgrund dieser Ungewissheit war denn auch die kantonale Rechtsanwendung bei der Unterhaltsberechnung seit 1. Januar 2017 sehr unterschiedlich. Während gewisse Gerichte weiterhin die 10/16-Regel anwandten, muteten andere Gerichte dem betreuenden Elternteil bereits mit Schuleintritt des jüngsten Kindes eine 35%- bzw. ab Oberstufeneintritt des jüngsten Kindes eine 80%-Arbeitstätigkeit zu.

Mit dem Ende September 2018 veröffentlichten Entscheid hat das Bundesgericht Klarheit geschaffen: Ab sofort gilt die 10/16-Regel nicht mehr. Von dem betreuenden Elternteil wird zukünftig verlangt, dass er bereits ab Schuleintritt des jüngsten Kindes wieder eine Arbeit von 50% aufnimmt bzw. dahingehend ausdehnt. Ab Eintritt in die Oberstufe des jüngsten Kindes ist dem betreuenden Elternteil sodann ein Arbeitspensum von 80% zumutbar. Mit dem 16. Lebensjahr des jüngsten Kindes wird schliesslich nach wie vor ein Vollzeitpensum erwartet. Die 10/16-Regel wurde somit zugunsten der “6/12/16-Regel” aufgehoben. Auch dieser Grundsatz gilt indessen nicht absolut. Insbesondere die Betreuungsaufgabe gegenüber mehreren Kindern sowie das Alter und die Gesundheit des Betreuenden können nach wie vor Gründe für eine allfällige Abweichung sein.