RECHTLICHES

von Rechtsanwältin Paula Dauner


Bundesgericht ändert Rechtsprechung zur Invalidenversicherung bei Adipositas – Neue Chancen auf Rentenanspruch!


Im Urteil 8C_104/2024 vom 22. Oktober 2024 hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur Invalidenversicherung bei Adipositas angepasst. Bisher galt Adipositas als grundsätzlich behandelbar, was einen Rentenanspruch ausschloss. Nun wird anerkannt, dass die grundsätzliche Behandelbarkeit einer Adipositas einem Anspruch auf eine Invalidenrente nicht mehr von vornherein entgegensteht. Betroffene Personen müssen jedoch zumutbare Behandlungen durchführen, wie etwa eine diätische Therapie oder ein Bewegungsprogramm.

Im konkreten Fall hatte A. zuletzt als kaufmännische Angestellte gearbeitet. Sie meldete sich am 8. Januar 2012 wegen Kniebeschwerden bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle sprach ihr eine befristete ganze Invalidenrente vom 1. Juli 2012 bis 31. Januar 2013 zu. Diese Verfügung wurde vom Sozialversicherungsgericht bestätigt. Im Mai 2017 beantragte A. erneut eine Invalidenrente und eine Hilflosenentschädigung. Die IV-Stelle lehnte das Rentenbegehren ab, da Adipositas nicht als invalidisierendes Leiden galt. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die Beschwerde ab. Daraufhin erhob A. Beschwerde beim Bundesgericht.

Das Bundesgericht führte aus, dass sich die Rechtsprechung zur Adipositas ursprünglich an der Rechtsprechung zu Suchterkrankungen orientiert habe. Nachdem jedoch auch die Sonderrechtsprechung zu Suchterkrankungen und früher zu Depressionen aufgegeben worden sei, sei eine Sonderrechtsprechung für Adipositas nicht mehr gerechtfertigt. In der Invalidenversicherung spiele nicht das Selbstverschulden eine Rolle, sondern die funktionellen Einschränkungen der betroffenen Person. Auch eine grundsätzlich behandlungsbare Erkrankung wie Adipositas führe nicht per se dazu, dass keine Invalidenrente gewährt werde. Eine Behandlung, die zu einer erheblichen Gewichtsreduktion führe, verlangt von der betroffenen Person erhebliche Ressourcen. Das Bundesgericht habe in früheren Urteilen die Behandelbarkeit psychischer Störungen als nicht allein ausschlaggebend für die Frage der Invalidität erklärt. Daher könne Adipositas nicht aufgrund einer grundsätzlich zumutbaren Behandlung als irrelevant für die Invalidenversicherung gelten.

Die Schadenminderungspflicht gelte auch bei Adipositas, was bedeute, dass die versicherte Person bei zumutbaren Behandlungen wie Diäten, Medikamenten- oder Verhaltenstherapien sowie Bewegungstherapien aktiv mitwirken müsse. Verletze die versicherte Person diese Pflicht und erhalte den krankhaften Zustand willentlich aufrecht, könne eine Kürzung oder Verweigerung von Leistungen folgen, nachdem die Person auf ihr Verhalten hingewiesen und eine Bedenkzeit eingeräumt worden sei. Im vorliegenden Fall war jedoch nicht ersichtlich, dass die IV-Stelle der betroffenen Person eine entsprechende Schadenminderungspflicht auferlegt habe.

Das Bundesgericht stellte daher fest, dass die Vorinstanzen die geänderte Rechtsprechung zur Invalidenversicherung bei Adipositas nicht berücksichtigt hatten. Es hob das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurück. Diese muss nun prüfen, ob A. zumutbare Behandlungen durchgeführt hat und ob ein Rentenanspruch besteht.