AKTUELLES

von  Rechtsanwalt Reto Aebi


"Verlass dich nicht auf das Gericht"


Die Leitung eines Prozesses innerhalb der Schranken der Zivilprozessordnung ist neben der Urteilsfindung die Hauptaufgabe der Gerichte. Doch der Anwalt muss sich mit den Spielregeln unter Umständen sogar besser auskennen, wie ein kürzlich publiziertes Urteil zeigt (BGer 4A_409/2024, Urteil vom 9. September2024).

Die ZPO sieht vor, dass die Klägerin nach erhalt der Klagebewilligung im Anschluss an die Schlichtungsverhandlung innert dreier Monate Klage beim zuständigen Gericht erheben muss (Art. 209 Abs. 4 ZPO). Ein Anwalt reichte eine Klage ohne Begründung und Beweisstücke beim Regionalgericht Bern-Mittelland ein. Gleichzeitig stellte er ein „Gesuch um Fristerstreckung zur Einreichung der Klagebegründung“ für 20 Tage. Die ZPO sieht allerdings klar vor, dass im ordentlichen Verfahren, welches vorliegend zur Anwendung kam, bereits die (erste) Klageschrift begründet sein muss (Art. 221 ZPO). Trotz dieser offensichtlich nicht zulässigen Zweiteilung der Klage gab das Gericht dem Fristerstreckungsgesuch statt und setzte eine Frist von 20 Tagen zur nachträglichen Klagebegründung an.

Die Klägerin bzw. ihr Anwalt reichte im Folgenden die begründete Klage innerhalb der erstreckten Frist ein. Die Dreimonatsfrist der Klagebewilligung war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits abgelaufen. Die Beklagte stellte sich deshalb (zurecht) auf den Standpunkt, dass die (begründete) Klage zu spät eingereicht worden sei. Auch das Regionalgericht sah dies ein und trat deshalb trotz zuerst gewährter Fristerstreckung wegen der Verspätung nicht auf die Klage ein.

Das Urteil enthielt eine Rechtsmittelbelehrung wonach dagegen die Berufung innert 30 Tagen möglich sei. Der Anwalt aber traute dem Gericht wohl nicht mehr. Das hätte er aber dieses Mal besser getan. So erhob er beim Obergericht des Kantons Bern Beschwerde. Tatsächlich wäre hier aber die Berufung das richtige Rechtsmittel gewesen. Das Obergericht trat deshalb auf die Beschwerde nicht ein. Der Anwalt versuchte es schliesslich noch vor Bundesgericht, doch dieses bestätigte den Entscheid der Vorinstanz, dass das falsche Rechtsmittel inhaltlich nicht zu behandeln sei.

Unter den groben Fehlern des Gerichts und des Anwalts litt am Schluss vor allem die Klägerin. Sie musste den Gerichten und der Beklagten insgesamt mehr als CHF 10’000.– bezahlen, ohne dass sich je ein Richter inhaltlich mit ihrer Klage auseinandergesetzt hätte.