KURIOSES

von Rechtsanwalt Dr. Rafael Brägger


Casino Fatal


Seit 20 Jahren sind in der Schweiz Glücksspiele wieder zugelassen. Einer der Hauptkritikpunkte heute wie damals: die Spielsuchtgefahr. Glücksspiel wirkt in der Tat wie eine Droge: Es kann berauschen, euphorisieren, aber auch abhängig machen und das Verlangen nach Steigerung der Dosis hervorrufen. Mit der Verlagerung der Spiele ins Internet und ihrer jederzeitigen Verfügbarkeit akzentuiert sich das Problem. Aus diesem Grund kann im Fall von Delinquenz ein Gericht auch – wie bei Alkohol- und Drogenabhängigkeit – einen „Glücksspiel-Entzug“ anordnen: Das Gesetz sieht (ambulante oder gar stationäre) Behandlungsmöglichkeiten vor, falls der Täter „von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig ist“ (Art. 60 und Art. 63 des Strafgesetzbuches, StGB).

Einen schweren Fall hatte unlängst das Bezirksgericht Zürich zu beurteilen. Ein 50-jähriger Mann war als Geschäftsführer einer Filiale eines Gastronomieunternehmens angestellt. Jeden Abend hatte er die Bareinnahmen des Tages auf das Geschäftskonto der Arbeitgeberin einzuzahlen. Zwischen dem 23. November 2019 und dem 8. Februar 2020 unterliess er dies und setzte das Geld stattdessen auf Sportwetten im Internet – insgesamt CHF 189’686.

Erstaunlicherweise fiel das niemandem auf – bis der Täter selbst der Arbeitgeberin alles beichtete. Es kam zu einem Strafverfahren, das in einer Verurteilung des Täters wegen mehrfacher Veruntreuung (Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) endete. Das Gericht betrachtete das Vorgehen des Täters als klassische Beschaffungskriminalität, nur halt nicht für Drogen, sondern für Spielwetteinsätze. Trotz der hohen Deliktssumme und des systematischen Vorgehens über mehrere Wochen wertete das Gericht die Schwere der Tat als leicht; es berücksichtigte neben dem Geständnis auch die Leichtfertigkeit, mit der die Arbeitgeberin den Schaden erlitt; der Beschuldigte habe nämlich, so das Gericht, „beim Tatvorgehen nicht besonders raffiniert oder mit einem ausgeklügelten Plan“ gehandelt, sondern es lediglich unterlassen, die Tageseinnahmen auf das Bankkonto der Privatklägerin einzubezahlen. Zudem zahlte der Täter die Gewinne, die er mit den Sportwetten erzielte, teilweise auf das Konto der Arbeitgeberin ein.

Obwohl ein Gutachten beim Täter eine abnorme Gewohnheit zu pathologischem Spielen diagnostizierte und von einer hohen Rückfallgefahr ausging, bestrafte das Gericht ihn mit 12 Monaten Freiheitsstrafe vergleichsweise mild. Es ordnete aber gleichzeitig eine ambulante Behandlung seiner Spielsucht mit Gruppen- und Einzeltherapie an. Der Fall zeigt exemplarisch, wie gefährlich Glücksspiele sein können und in welchem Dilemma der Staat diesbezüglich steckt: Spielbanken, Lotterien, Sportwetten & Co. sind eine sprudelnde Einnahmequelle für den Staat, und die Einnahmen kommen erst noch gemeinnützigen Zwecken wie der Kultur- oder Sportförderung zugute. Gleichzeitig eröffnen sie menschliche Abgründe, die immer wieder Existenzen vernichten und Familien zerstören. Die Beseitigung solchen „Kollateralschadens“ ist dann wiederum Sache der Allgemeinheit – ein Teufelskreis.