KURIOSES
von Rechtsanwalt Dr. Rafael Brägger
Der Fussball des Anstosses
Fussball ist ein Mannschaftssport – ballverliebte Spieler, die sich lieber in Einzelaktionen verzetteln, anstatt zum besser postierten Mitspieler zu passen, sind daher jedem Trainer ein Dorn im Auge. Aber muss man den Ball wirklich um jeden Preis hergeben? Das versuchte unlängst ein Grundeigentümer im zürcherischen Dietlikon herauszufinden.
An einem sonnigen Nachmittag im Juni 2021 landete im Garten dieses Bürgers ein Fussball, der vom gegenüberliegenden Pausenplatz des Schulhauses geflogen gekommen war. Der zufällig anwesende Gemeindepolizist forderte den Bürger daraufhin auf, den Fussball aus seinem Garten zu holen und dem Polizisten auszuhändigen, ansonsten der Bürger sich des Widersetzens einer polizeilichen Anordnung schuldig mache. Der ballverliebte Bürger sah dies nicht ein und erstattete gegen den Polizisten Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch und Nötigung.
Da der angezeigte Polizist und damit Beamter war, erfordert die Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn die vorherige Zustimmung durch das Obergericht (sog. Ermächtigung). Das Obergericht Zürich kam zum Schluss, dass die Handlung des Polizisten durch das zürcherische Polizeigesetz gedeckt gewesen und kein unangemessener Zwang ausgeübt worden sei, und verweigerte die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen den Polizisten. Gegen diesen Entscheid gelangte der Bürger ans Bundesgericht.
Das Bundesgericht (Urteil 1C_32/2022 vom 14. Juli 2022) stellte darauf ab, ob ein Mindestmass an Hinweisen auf strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege; es gelte nämlich die Beamten vor mutwilliger Strafverfolgung zu schützen und das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe sicherzustellen. Es sei jedoch, so das Bundesgericht, nicht ersichtlich, inwiefern der Polizist durch die Aufforderung zur Herausgabe des Fussballs, welcher den Spielenden auf dem Pausenplatz des Schulhauses unfreiwillig abhandengekommen war, den Tatbestand des Amtsmissbrauchs oder der Nötigung erfüllt haben soll: Selbst wenn für den beschwerdeführenden Bürger eine gewisse Zwangssituation bestanden haben möge, so könne nicht von einem unrechtmässigen Zwang, der Androhung ernstlicher Nachteile bzw. von der unrechtmässigen Anwendung von Amtsgewalt ihm gegenüber gesprochen werden.
Den Einwand des Beschwerdeführers, es sei nicht ersichtlich, inwiefern er durch das Zurückbehalten des Fussballs gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit verstossen haben solle, liess das Bundesgericht nicht gelten, weil kein Verstoss verlangt sei, damit die Polizei tätig werden dürfe. Die polizeiliche Anordnung der Herausgabe des Fussballs könne durchaus in dem Sinne verstanden werden, dass sie zur Wiederherstellung der Eigentumsverhältnisse bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit dienen sollte und somit zum Aufgabenbereich des Polizisten gehörte.
Süffisant weist das Bundesgericht schliesslich auf die Vorgeschichte des Sachverhalts hin, hatte dieser Bürger doch bereits rund 30 Personen wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung angezeigt, die versucht hatten, ihre danebengeschossenen Fussbälle selbst aus dem Garten zu holen. Insoweit habe das Vorgehen des Polizisten auch der präventiven Vermeidung weiterer Streitigkeiten gedient (was sich im vorliegenden Fall freilich als Trugschluss erwies). Das Bundesgericht schloss sich somit dem Obergericht an und erkannte, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen den Polizisten zu Recht verweigert worden war.