KURIOSES

von Rechtsanwalt Dr. Rafael Brägger


Pyrotechnik ist kein Verbrechen! (nach Art. 10 Abs. 2 StGB)


Kaum jemand zweifelte daran, dass der FC Zürich heuer zum 13. Mal insgesamt und zum ersten Mal seit 2009 Schweizer Fussballmeister werden wird; zu gross war sein Vorsprung auf die Verfolger aus Basel und Bern mehrere Runden vor Schluss.

Nebst seinen Erfolgen auf dem Rasen macht der FCZ aber immer wieder auch neben dem Platz Schlagzeilen: Die Entlassung des früheren Cheftrainers Rolf Fringer landete vor dem Zürcher Obergericht, militante Hooligans prügelten gegnerische Anhänger oder Polizisten invalid, und am 2. Oktober 2011 warfen vermummte FCZ-Anhänger brennende Fackeln mitten in den Sektor der Fans der Grasshoppers.

Auch der letztgenannte Fall beschäftigte am Ende das Obergericht Zürich, und dieses kam, ganz im Sinne einer beliebten Parole von Hardcore-Fans, zum Schluss: „Pyrotechnik ist kein Verbrechen!“ In der Tat: Laut Obergericht (Urteil SB140349 vom 31. März 2015) stellt das Werfen einer 1’500 Grad heissen Seenotfackel in eine Menschenansammlung keine „Gefährdung des Lebens“ nach Art. 129 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (StGB) dar (mit der Begründung, damit würden keine „Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr“ gebracht), sondern bloss eine einfache Körperverletzung nach Art. 123 StGB. Und da die maximale Strafdrohung für Letztere nicht mehr als drei Jahre beträgt (gegenüber fünf Jahren bei Gefährdung des Lebens), handelt es sich bei der einfachen Körperverletzung kraft Art. 10 Abs. 2 StGB eben nicht um ein „Verbrechen“, sondern lediglich um ein „Vergehen“ (Art. 10 Abs. 3 StGB).

Der Täter wurde übrigens auch noch wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Sprengstoffgesetz bestraft – auch dabei handelt es sich aber um ein Vergehen, nicht um ein Verbrechen.

Das Fazit der Geschichte: Entweder verfügen Pyros abfackelnde Hooligans über ungeahnten juristischen Scharfsinn, der die feinen Nuancen zwischen den einzelnen Straftaten präzis zu erfassen vermag – oder der Täter konnte hier ganz einfach durch eine Lücke im Gesetz schlüpfen, die ebenso wenig existieren dürfte wie die Möglichkeit, eine Seenotfackel überhaupt in das Stadion Letzigrund transportieren zu können.