RECHTLICHES
von Rechtsanwalt Dr. Rafael Brägger
Festnahme durch Kaufhausdetektiv als Freiheitsberaubung und Amtsanmassung
Im Rechtsstaat kommt dem Staat, handelnd durch die Polizei, das alleinige Recht zu, Bürgerinnen und Bürger festzunehmen und hierzu nötigenfalls Gewalt anzuwenden (sog. Gewaltmonopol). Trotzdem stehen private Sicherheitsfirmen seit Jahren hoch im Kurs. Wie heikel deren Tätigkeit in rechtlicher Hinsicht ist – und im Extremfall sogar zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen kann – zeigt ein Fall, der sich am 15. Oktober 2013 (!) im Kanton Luzern zugetragen hatte und der nun letztinstanzlich vom Bundesgericht beurteilt wurde (Urteil 6B_358/2020 vom 7. Juli 2021).
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes war als Ladendetektiv in einem Kaufhaus tätig. Dabei beobachtete er einen Besucher des Kaufhauses beim Diebstahl eines Parfums. Als der Dieb das Kaufhaus verliess, folgten ihm der Ladendetektiv und sein Mitarbeiter nach draussen und überwältigten ihn ohne Vorankündigung auf dem Bahnhofplatz in der Nähe des Kaufhauses. In einem an George Floyd erinnernden Vorgehen klemmte der Ladendetektiv den Kopf des Diebs zwischen seine Beine ein, während sein Mitarbeiter diesem Handschellen anlegte. Gemeinsam führten sie den Ladendieb anschliessend durch das Untergeschoss des Bahnhofs zum Kaufhaus zurück, wo sie schliesslich die Polizei verständigten. Der gesamte Vorgang – von der Festnahme bis zur Verständigung der Polizei – dauerte rund zehn Minuten.
Art. 218 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) gesteht – in Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols – unter bestimmten Voraussetzungen auch Privatpersonen ein Festnahmerecht zu. Verlangt ist, dass der oder die Festnehmende die verdächtige Person bei einem Verbrechen oder Vergehen auf frischer Tat ertappt oder unmittelbar nach der Begehung einer solchen Tat angetroffen hat und dass polizeiliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Gewalt darf dabei von der festnehmenden Person nur als äussertes Mittel angewendet werden und muss verhältnismässig sein (Art. 200 StPO). Festgenommene Personen müssen zudem so rasch als möglich der Polizei übergeben werden.
Die Vorinstanz und mit ihr das Bundesgericht sahen die Voraussetzungen von Art. 218 StPO vorliegend aus mehreren Gründen nicht als erfüllt an. Zum einen habe das gestohlene Parfum nicht einen Wert von mehr als CHF 300 gehabt (und es durfte der Ladendedektiv einen solchen auch nicht annehmen), womit der Diebstahl kein Verbrechen oder Vergehen, sondern eine blosse Übertretung war (Art. 172ter des Schweizerischen Strafgesetzbuches, StGB). Die angewandte Gewalt sei zudem unverhältnismässig gewesen. Und schliesslich wurde dem Ladendedektiv zum Verhängnis, dass sich im Untergeschoss des Bahnhofs, durch das der Ladendedektiv den Dieb führte – was dem Ladendedektiv bekannt war – eine Polizeistation befand. Trotzdem entschied er sich, den Dieb zunächst in das Kaufhaus zurückzuführen und übergab ihn damit nicht schnellstmöglich der Polizei.
Entsprechend bestätigte das Bundesgericht die Verurteilung des Ladendetektivs wegen Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183 Ziff. 1 StGB) sowie Amtsanmassung (Art. 287 StGB). Für die Verurteilung wegen Letzterer war relevant, dass der Detektiv dem Dieb bei der Festnahme nur für wenige Sekunden seinen privaten Sicherheitsdienstausweis vorzeigte und nicht sofort klarstellte, dass er kein (nichtuniformierter) Polizeibeamter war; der Dieb wusste daher nicht, dass er nicht von einem staatlichen Organ festgenommen worden war.