KURIOSES

von MLaw Nicolas Wittlinger


G-20-Prozess in Zürich – Datenpanne wirft die Frage der Voreingenommenheit der Richter auf


Wir erinnern uns zurück an die Ausschreitungen vom 7. Juli 2017 im Hamburger-Schanzenviertel. Vermummte protestierten gegen den G-20-Gipfel wobei auch drei Schweizer verhaftet wurden. Am 16. April 2021 fand vor dem Bezirksgericht in Zürich der Prozess statt. Doch kaum hatte die Verhandlung begonnen, verliessen die Angeklagten protestierend den Gerichtssaal – was ist passiert?

Im Vorfeld der Verhandlung kam dem Anwalt von einem der Angeklagten versehentlich ein Dokument in die Finger, welches die Gemüter der Angeklagten offensichtlich erhitzte: Es war der Urteilsentwurf! Unterläuft ein vorgefertigter Urteilsentwurf vor der Verhandlung die Voreingenommenheit des Richters, insbesondere wenn darin bereits über schuldig oder nicht schuldig befunden wird?

Das Bundesgericht meinte in einem früheren Fall, dass eine „vorläufige Meinungsbildung […] keinerlei Voreingenommenheit […]“ bedeutet.

Rein aufgrund der Tatsache, dass sich ein zuständiger Richter im Vorfeld einer Verhandlung mit einem Fall auseinandersetzt, lässt sich mithin keine Voreingenommenheit ableiten. Die Beweisführung und Aktenlage geschehen lange vor dem Urteil und werden durch gute Richter im Voraus intensiv behandelt und es wird darauf basierend eine Einschätzung in Form eines Urteilsentwurfs geschrieben.

Nichtsdestotrotz ist es schwierig, den Anschein der Unvoreingenommenheit aufrecht zu erhalten, wenn ein solches Dokument an die Öffentlichkeit kommt. Ein Staatsanwalt der sich zum Fall äusserte meinte: „Am Ende geht es um den Anschein der Unvoreingenommenheit. Ein Richter hat immer irgendwelche Vorurteile, was nichts Schlimmes ist, solang er während des Prozesses fähig und willens ist, unabhängig zu urteilen. Die Glaubwürdigkeit, dass er das kann, lebt von diesem Anschein. Und dieser ist nach dem veröffentlichten Entwurf angekratzt.“

Das entsprechende Gesuch um Ausstand des zuständigen Richters wurde gestellt und liegt nun dem Zürcher Obergericht zur Beurteilung vor. Es bleibt spannend …