AKTUELLES

von Rechtsanwältin Flavia Dudler


Hauptverhandlung via Videokonferenz – erst seit 20. April 2020 möglich


Das Bundesgericht befasst sich jüngst mit der Digitalisierung im Verfahrensrecht (BGer 4A_180/2020 vom 6. Juli 2020). Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Nach Durchführung einer Vergleichsverhandlung sowie des doppelten Schriftenwechsels vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich verlangte die Beklagte Ende Januar 2020 die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung. Die Parteien wurden zur Hauptverhandlung vom 7.. April 2020 vorgeladen. Am 24. März 2020 teilte die Vizepräsidentin des Handelsgerichts mit, dass die Hauptverhandlung aufgrund der nicht absehbaren und gravierenden „Pandemie-Notlage“ im Rahmen einer Videokonferenz (via ‚ZOOM Cloud Meetings‘) stattfinden wird. Sie stützte sich dabei auf „Richterrecht“.. Am 30. März 2020 beantragte die Beklagte die Verschiebung der Hauptverhandlung und erklärte, mit der Durchführung einer Hauptverhandlung via Videokonferenz nicht einverstanden zu sein. Das Gesuch wurde abgewiesen. Nachdem die Beklagte an der Videokonferenz unentschuldigt nicht teilnahm, wurde die Klage mit Urteil vom 7. April 2020 gutgeheissen. Dagegen ging die Beklagte vor.

Das Bundesgericht rief in seinem Entscheid vorab in Erinnerung, dass sich die richterliche Prozessleitung stets an das Gesetz zu halten habe. Die Zivilprozessordnung setze die physische Anwesenheit der Parteien und Gerichtsmitgliedern bei der Hauptverhandlung voraus. De lege lata sei das Mittel der Videokonferenz nicht vorgesehen. Eine zivilprozessrechtliche Grundlage für die Abnahme gewisser Beweise mittels Videokonferenz sei zwar in Planung. Dieser gesetzgeberischen Entwicklung dürfe aber nicht unter Hinweis auf „Richterrecht“ vorgegriffen werden. Auch auf die „Pandemie-Notlage“ vermochte sich die Anordnung des Handelsgerichts vorliegend nicht zu stützen: Die bundesrätliche COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht vom 16.. April 2020, welche eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für Verhandlungen mittels Videokonferenz vorsieht, trat nämlich erst am 20. April 2020 und damit nach dem relevanten Datum vom 7. April 2020 in Kraft.

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass für die Zeit vor dem 20. April 2020 somit keine gesetzliche Grundlage bestand, um die Durchführung der Hauptverhandlung via Videokonferenz gegen den Willen einer Partei anzuordnen. Es hiess die Beschwerde gut, hob das Urteil auf und wies die Sache zur Durchführung des Verfahrens und Neubeurteilung an das Handelsgericht zurück.

Auch wenn dieser Bundesgerichtsentscheid aus rechtlicher Sicht klar überzeugt, führt er vorliegend zu einem unnötigen Leerlauf. Die Beklagte konnte vorliegend nicht einmal dartun, inwiefern sie eine Hauptverhandlung via Videokonferenz überhaupt nachteilig tangiert.