RECHTLICHES

von Rechtsanwalt Dr. Rafael Brägger


Gültige Klagebewilligung trotz örtlich unzuständiger Schlichtungsbehörde


Einem Gerichtsprozess geht regemässig ein Schlichtungsverfahren vor einer Schlichtungsbehörde (Vermittler oder Friedensrichter) voraus. Obwohl dieses Verfahren an sich obligatorisch ist, ist die Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung für den Beklagten (nicht aber für den Kläger) freiwillig. Im Newsletter vom April berichtete uns Rechtsanwältin Flavia Dudler vom Urteil des Bundesgerichts, wonach der Kläger auch dann zu dieser Verhandlung erscheinen müsse, wenn der Beklagte vorgängig mitteilt, er werde nicht teilnehmen (Urteil 4A_416/2019).

Das Urteil hat Kopfschütteln ausgelöst, weil der Leerlauf einer Schlichtung, an der eine Partei von vornherein nicht teilnimmt, unverkennbar ist. Die Haltung des Bundesgerichts ist auch wenig „konsumentenfreundlich“, müssen klagende Parteien damit doch regelmässig zum (Wohn-)Sitz der beklagten Partei reisen, nur um ein Dokument abzuholen.

Mit einem neuen, das Schlichtungsverfahren betreffenden Urteil hat das Bundesgericht nun zumindest in einem anderen Punkt Augenmass bewiesen. Es entschied nämlich, dass eine Klagebewilligung – mit der das Schlichtungsverfahren abgeschlossen und dem Kläger der Zugang zum Gericht eröffnet wird – auch dann gültig ist, wenn sie von einer örtlich unzuständigen Schlichtungsbehörde erteilt wurde (Urteil 4A_400/2019; im zu beurteilenden Fall hatte die Klägerin statt in Moutier/BE in La Chaux-de-Fonds/NE geklagt). Davon ausgenommen sind jedoch Fälle, in denen die örtliche Unzuständigkeit offensichtlich ist, die sog. Einlassung ausgeschlossen ist und die beklagte Partei die Unzuständigkeit ausdrücklich anruft. Das wird nur selten der Fall sein.

Das Urteil ist vor allem deshalb zu begrüssen, weil das Schlichtungsverfahren vielfach von Laien eingeleitet wird (und auch soll eingeleitet werden können). Ihnen soll nicht zugemutet werden, vor der Einreichung vertiefte Abklärungen zum Gerichtsstand treffen zu müssen (oder kostenpflichtig treffen zu lassen). Mit diesem Entscheid hat das Bundesgericht seine formalistische Haltung, wie sie im ersten Urteil zum Ausdruck, erfreulicherweise wieder etwas korrigiert.