AKTUELLES

von Rechtsanwältin Jasmin Gähler


Geplante Familiengründung zählt im Mietrecht als "dringender Eigenbedarf"


In der Schweiz verfügen Mieter über einen ausgeprägten Schutz und können – zum Leidwesen der Vermieter – ein bestehendes Mietverhältnis bei Kündigung oft lange erstrecken lassen. Zudem löst eine durch den Mieter gewonnene Mietstreitigkeit eine dreijährige Kündigungssperrfrist aus. In einem kürzlich ergangenen Bundesgerichtsentscheid (4A_639/2018 vom 21. November 2019) setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, wann eine wegen eines behaupteten Eigenbedarfs ausgesprochene Kündigung ungültig ist.

Die Mieter wohnten seit dem Jahr 2009 in einer 4 -Zimmer-Wohnung. Nach einer erfolgreichen Anfechtung des Anfangsmietzinses betrachtete das Gericht eine im Jahr 2013 ausgesprochene Kündigung als ungültig. Diese Streitigkeit löste ab Februar 2015 eine dreijährige Kündigungssperrfrist bis Februar 2018 aus.

Mit der Aussicht, dass die Vermieterin ihr absolviertes Vikariat als angehende Pfarrerin im Mai 2018 beenden, sich in der Region Lausanne per 1. Juni 2018 für eine Arbeitsstelle als Pfarrerin bewerben und eine Familie zu gründen, kündigte sie am 13. Februar 2017 den Mietvertrag auf den 1. Juli 2017 ordentlich. Wegen eines dringenden Eigenbedarfs erachtete die erste Instanz die Kündigung als zulässig, während die zweite Instanz einen dringenden Eigenbedarf verneinte, insbesondere weil die angehende Pfarrerin noch gar nicht auf Stellensuche gewesen sei und sich das berufliche Vorhaben gar nicht realisiert habe. Die Vermieterin gelangte deshalb ans Bundesgericht.

Grundsätzlich steht es dem Vermieter frei, den Mietvertrag zu kündigen. Eine während der Kündigungssperrfrist ausgesprochene Kündigung ist jedoch anfechtbar, da mit einer solchen Kündigung eine rechtsmissbräuchliche „Rachekündigung“ vermutet wird. Diese Vermutung des Rechtsmissbrauchs entfällt, wenn der Vermieter nachweist, dass er einen dringenden Eigenbedarf für sich hat. Der Eigenbedarf hat in zeitlicher wie sachlicher Hinsicht dringend zu sein, wobei sich die Dringlichkeit auch im Vergleich zur vertraglichen Kündigungsfrist bemisst.

Zum Zeitpunkt der Kündigung beabsichtigte die Vermieterin, die Wohnung per 1. Juni 2018 zu beziehen. Die Tatsache, dass sie zu diesem Zeitpunkt in der Region Lausanne noch keine Arbeitsstelle gefunden hatte, schliesst den Eigenbedarf nicht unmittelbar aus. Schliesslich kann sie dennoch in der Wohnung leben und dort eine Familie gründen. Zudem sei es zum Zeitpunkt der Wohnungskündigung zu 90% sicher gewesen, dass die Vermieterin per 1. Juni 2018 eine Arbeitsstelle in Lausanne finden wird. Das Bundesgericht erachtete den Eigenbedarf auch als dringend, da die Vermieterin bei einer Kündigung nach Ablauf der Kündigungssperrfrist im Februar 2018 die Wohnung aufgrund der Kündigungsfrist von vier Monaten nicht bereits am 1. Juni 2018 hätte beziehen können. Die Kündigung war daher gültig.

Die Mieter wurden nun angewiesen, die Mietwohnung bis spätestens am 30. Juni 2020 – also zwei Jahre nach geplantem Einzugstermin (!) – zu verlassen. Eigenbedarf aufgrund von Familiengründung muss also wohlüberlegt Jahre im Voraus geplant werden.