KURIOSES
von Rechtsanwalt Dr. Rafael Brägger
Der Schweizer Ticketmarkt - Eine schrecklich nette Familie
Die Tore des Hallenstadions sind zurzeit geschlossen, das Eis abgetaut. Dieser Winterschlaf der grössten Schweizer Event-Arena mitten im Frühling erlaubt uns, einen Blick hinter die rechtlichen Kulissen des Veranstaltungsbetriebs in Zürich-Oerlikon zu werfen.
Die Betreiberin des Hallenstadions, die „Aktiengesellschaft Hallenstadion Zürich“ (AGH), betraute ab 2009 die „Ticketcorner AG“ mit dem Vertrieb von Tickets für die im Hallenstadion stattfindenden Events. Raffiniert ausgestaltete Verträge führten dazu, dass Organisatoren von Veranstaltungen im Hallenstadion – von Eishockey über Generalversammlungen und Messen zu Rock- und Popkonzerten – keine andere Wahl hatten, als ihr Ticketing über Ticketcorner abzuwickeln. Die Konkurrenz – namentlich „Eventim“, „Ticketportal“, „Starticket“ und „Ticketino“ – war darüber wenig erfreut und reichte Anzeige bei der Wettbewerbskommission (WEKO) ein. Die rechtlichen Fragen, die sich in diesem Verfahren stellten, sind – zumindest für Juristen – hochspannend und beschäftigten gar das Bundesgericht (Spoiler: anders als die WEKO erblickte das Bundesgericht in der Vereinbarung zwischen AGH und Ticketcorner einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und eine unzulässige Wettbewerbsabrede nach dem Kartellgesetz; der Fall liegt nun wieder bei der WEKO). Mindestens so interessant sind die zahlreichen Verflechtungen, die sich im Verfahren offenbarten.
Es beginnt, vergleichsweise harmlos, damit, dass der Präsident des Verwaltungsrats von Ticketcorner auch Mitglied des Verwaltungsrats der AGH ist. Praktisch, wenn es darum geht, die Einhaltung von Verträgen zu überwachen. Eventim, die das Ganze ins Rollen gebracht hatte, entledigte sich des Problems auf effiziente Weise und erwarb kurzerhand 50% von Ticketcorner. Wenig überraschend zog Eventim darauf ihre Anzeige bei der WEKO zurück. „Was die können, können wir auch“, dachten sich daraufhin wohl Starticket und Ticketportal – und fusionierten (mittlerweile wurden beide von der britischen „See Tickets“ übernommen). Nachdem sich die Nummer 1 auf dem Schweizer Ticketmarkt (Ticketcorner) verstärkt hatte, rüsteten also auch die Nummern 2 und 3 auf.
Damit aber noch nicht genug: Im Oktober 2016 gaben Ticketcorner und Starticket bekannt, ebenfalls fusionieren zu wollen. Nun wurde es aber auch der WEKO zu bunt – sie verbot den Zusammenschluss kurzerhand. Zu gross sei die Marktmacht, die ein solcher Ticketriese (dessen Marktanteil wurde auf 80-95% geschätzt) ausüben könne, befand die WEKO. Dieses Verbot ist aber noch nicht rechtskräftig.
Die Moral von der Geschichte: Erstens, nicht nur Scheidungen, sondern auch Hochzeiten können auf einem Richterpult landen; zweitens, durch Hochzeiten kann eine Familie auch kleiner werden; und drittens: Wettbewerb ist anstrengend.