RECHTLICHES

von Rechtsanwältin Martina Widmer


Kündigungsschutz bei Familienwohnungen – Praxisänderung


Im Rahmen einer Ehetrennung wurde die Familienwohnung der Ehefrau zur alleinigen Benützung zugewiesen. Sowohl die Ehefrau als auch der Ehegatte blieben aber Parteien im Mietvertrag. Als die Vermieterin den Mietvertrag der Familienwohnung wegen Eigenbedarfs kündigte, focht einzig die Ehefrau, nicht aber der Ehemann und Mitmieter, die Kündigung wegen Missbräuchlichkeit an.

Das Bundesgericht stellte fest, dass die Rechtsprechung in einem teilweisen Widerspruch steht. In seinem jüngeren Entscheid von 2014 hielt es fest, dass ein Mitmieter eines gemeinsamen Mietvertrages im Falle einer Kündigungsanfechtung auf der Gegenseite nebst dem Vermieter auch den Mitmieter einklagen muss, welcher sich der Kündigung widersetzten will, weil er mit diesem eine notwendige Streitgenossenschaft bildet. Denn als solche können die notwendigen Streitgenossen nur zusammen klagen oder beklagt werden. Weiter hielt das Bundesgericht fest, dass bei einem zusammenlebenden Ehepaar, bei welchem nur ein Ehegatte Mieter der Familienwohnung ist, das Gesetz mit Art. 273a des Obligationenrechts (OR) eine genügende Rechtsgrundlage schafft, damit der Nichtmieter-Ehegatte alleine, d.h. ohne Einbezug vom Mieter-Ehegatten, zur Klage legitimiert ist und somit die Kündigung eigenständig anfechten kann (BGE 140 III 598 vom 2. Dezember 2014).

In einem älteren Entscheid von 1992 wird hingegen festgehalten, dass Art. 273a OR analog auch auf den Fall anzuwenden ist, wenn beide Ehegatten Mieter der Familienwohnung sind, wie es im vorliegenden Sachverhalt der Fall ist. Demnach ist der eine Mieter-Ehegatte berechtigt, ohne seinen Mitmieter eine Anfechtungsklage zu erheben. Folglich besteht ein Widerspruch in der Rechtsprechung betreffend die Frage, ob ein Ehegatte, der Mitmieter ist, gestützt auf Art. 273a OR analog, alleine zur Anfechtungsklage befugt ist oder nebst dem Vermieter auch den anderen Mieter-Ehegatten einklagen muss (BGE 118 II 168 vom 27. Mai 1992).

In seinem neu ergangenen Entscheid lehnt das Bundesgericht (Bundesgerichtsurteil 4A_570/2018 vom 31. Juli 2019) eine analoge Anwendung von Art. 273a OR auf eine Kündigungsanfechtung bei gemeinsamer Miete der Familienwohnung ab. Sind sich die Ehepartner und gemeinsamen Mieter der Familienwohnung hinsichtlich der Kündigungsanfechtung nicht einig, so ist ein Ehegatte zur alleinigen Anfechtung nur legitimiert, wenn er neben dem Vermieter auch den anderen Ehegatten, welcher die Kündigung nicht anfechten will, ins Recht fasst. Sinn und Zweck von Art. 273a OR ist es, den nicht mietenden Ehegatten gegen Handlungen des mietenden Ehegatten, mit denen einseitig auf die gemeinsame Familienwohnung verzichtet wird, zu schützen.

Vor diesem Hintergrund kann bei gemeinsamem Mietvertrag der Familienwohnung durch die Ehegatten Art. 273a OR nicht analog angewendet werden. Vielmehr ist auch in diesem Fall der Ehegatte und Mitmieter, der die Kündigung nicht anfechten will, auf der Passivseite ins Verfahren miteinzubeziehen.