RECHTLICHES

von Rechtsanwalt Thomas Wehrli


Gültiges Testament trotz starker Medikamente und Metastasen im Gehirn?


Das Bundesgericht musste sich kürzlich mit der Urteils und Urteils- und Testierfähigkeit eines Krebspatienten auseinandersetzen (Bundesgerichtsentscheid BGer 5A_763/2018 vom 1. Juli 2019).

Beim an Lungenkrebs erkrankten Erblasser bildeten sich im Gehirn bereits Metastasen. Zur Schmerzlinderung konsumierte er neben seiner Morphinmedikation auch Cannabis. Mit öffentlich beurkundetem Testament vom August 2014 hatte der Erblasser seinen Partner als Universalerben und einen Willensvollstrecker eingesetzt. Der Erblasser verstarb im Dezember 2014. Die Schwestern des Erblassers fochten das Testament an und machten deren Nichtigkeit bzw. Ungültigkeit zufolge Verfügungsunfähigkeit des Erblassers geltend. Bezüglich der Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung war vorliegend streitig, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung urteils- und somit verfügungsfähig gewesen war.

Es gilt der allgemeine Grundsatz, wonach die Urteilsfähigkeit vermutet wird und diejenige Partei, welche sich auf die Urteilsunfähigkeit beruft, dafür beweispflichtig ist. Nur wenn sich die Person im Zeitpunkt der streitigen Handlung nachweislich in einem dauernden Schwächezustand befunden hat, welche der allgemeinen Lebenserfahrung vernunftgemässes Handeln grundsätzlich ausschliesst, wird die Urteilsunfähigkeit vermutet und es ist die Urteilsfähigkeit durch jene Partei zu beweisen, welche sich auf sie beruft (Beweislastumkehr).

Aufgrund von diversen sehr aktuellen Arztberichten, welche sich zum Teil ausdrücklich zur Urteilsfähigkeit äusserten, gelangte das Gericht zum Schluss, dass der Erblasser trotz seiner schweren körperlichen Krankheit nicht in seiner Fähigkeit beeinträchtigt gewesen sei, vernunftgemäss zu handeln. Die Schwestern konnten nicht aufzeigen, dass die Metastasen im Gehirn, der Cannabiskonsum oder die Morphinmedikation des Erblassers zwangsläufig zur Urteilsunfähigkeit geführt haben. So wurde beispielsweise nicht dargelegt, ab welchen Konzentrationen ein Rauschzustand eintrete, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln, beeinträchtigen würde.

In der Praxis stellen sich beim Nachweis der Urteilsunfähigkeit im Zusammenhang mit einer erbrechtlichen Ungültigkeitsklage verschiedene Probleme. Insbesondere die Schwierigkeit, post mortem über die Urteilsfähigkeit einer Person zu befinden, liegt in der Natur der Sache. In Ungültigkeitsprozessen kann daher die Beweislastverteilung von fundamentaler Bedeutung sein.

Gelingt es einer Partei, dass der Gegenpartei die Beweislast auferlegt wird, sieht sich die Gegenseite allenfalls der Herkulesaufgabe gegenüber, einen luziden Moment oder einen solchen der fehlenden Urteilsfähigkeit zu beweisen. Häufig kommt bei Klagen das Problem hinzu, dass keine einschlägigen ärztlichen Gutachten bestehen bzw. in solche aufgrund des Berufsgeheimnisses keine Einsicht gewährt wird. Wie auch bei Vorsorgeaufträgen ist es daher ratsam, Testamente zu einem Zeitpunkt abzuschliessen, wo die Urteilsunfähigkeit noch gar kein Thema ist. So kann sichergestellt werden, dass der letzte Wille umgesetzt wird. Wir unterstützen Sie gerne dabei.